Intimität als Voraussetzung für die erotische Lebenskunst

Intimität ist eine notwendige Voraussetzung und ein wichtiger Bestandteil der erotischen Lebenskunst. Ohne Intimität ist die Nähe unmöglich, Vertrauen ist auch unmöglich, daher ist es unmöglich, die spirituelle Dimension der Sexualität praktisch zu erfahren. Gleichzeitig braucht es ein gewisses Maß an Vertrauen, um eine intime Beziehung aufzubauen, um Intimität einzugehen. Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass Menschen, die aufgrund mangelnden Vertrauens keine Intimität erfahren können, sich wie in einem Teufelsrad drehen, da Misstrauen die Intimität in ihnen tötet und der Mangel an Intimität ein weiteres Misstrauen erzeugt. Bei ausreichendem Vertrauen und minimalem Mut, also einer minimal positiven Einstellung zu Erotik, Lust, Sexualität, ist Intimität jedoch möglich, um das unendliche spirituelle Potenzial, das der erotischen Lebenskunst innewohnt, zu offenbaren und zu vervielfachen. Es braucht nur sehr wenig, um es zu entdecken – finde einfach eine Prise des Mutes und vertraue auf dich selbst, um die tiefsitzende Angst zu überwinden.

Intimität, Nähe, Sinnlichkeit

Intimität ist nicht dasselbe wie Nähe und nicht dasselbe wie Sinnlichkeit. Sie ist die Ebene, die unter ihnen liegt, viel tiefer. Intimität und Sinnlichkeit sind Ergebnisse von Intimität, sie können auch ihre Werkzeuge sein. Um ein tieferes Basis-Vertrauen zu schaffen, eignen sich ganz einfache, altbekannte, aber heute leide nur selten praktizierte Formen der Intimität: ein tieferer Blick in die Augen, sanftes Halten der Hand, auf den Herzschlag des Partners hören und natürlich leichte und sinnliche Berührungen – an Haar, Gesicht, Lippen, Handflächen, Armen, Brust, Bauch. Das Berühren der Ohrläppchen, der Achseln, der Taille, des Gesäßes und natürlich der Genitalien kann sehr intim, sogar super-intim sein. Das Berühren der Genitalien und deren Teilnahme am Ritual ist jedoch für das Gefühl der Intimität nicht notwendig. Genitale Intimität, ob manuell, oral oder als Geschlechtsverkehr, ist ein angenehmer Bonus im gesamten Prozess der Intimität, aber nicht dessen Ziel oder Ergebnis.

Intime Rituale

Die neo-tantrische Tradition, insbesondere das sogenannte „weiße“ Tantra, bietet einige sinnliche Rituale, die die Intimität schaffen können, um die spirituelle Dimension einer erotischen Begegnung zu entdecken. Viele dieser Rituale beinhalten keine Berührungen, sondern nur Anschauen, Hören von Musik, Singen von Mantras oder stilles Aussprechen verborgener Wünsche und geheimer Fantasien. Dies ist zum Beispiel das Entkleidungsritual.

Einige Rituale aus der sogenannten «roten» Tantra-Tradition beinhalten dagegen eine leichte intime Berührung. So ist zum Beispiel das Verehrungsritual oder das Baderitual, Ritual des gemeinsamen Waschens, sowie, natürlich, das Berührungsrituall oder die tantrische Massage.

Hindernisse für die Intimität: Trauma und negative Erfahrung

Menschen, die sexuelle und andere Traumata – wie Gewalt, Demütigung, Verachtung, Ablehnung oder Zurückweisung erlebt haben – aufgrund von Angst, Verlegenheit und Mangel an Vertrauen, können oft nicht das Gefühl von Intimität selbst erfahren und können sich daher nicht richtig drauf einstimmen. Die klassische Verhaltenspsychotherapie mit ihren dogmatisch-akademischen Ansätzen mag in der Lage, alles an einem Menschen zu fördern, oft sogar seinen angeborenen Egoismus und Egozentrismus, jedoch nicht in ihm tief verankertes intimes erotisches Potenzial. Man kann sagen, dass die meisten gängigen psychotherapeutischen Schulen und Techniken sowie Coachings, die auf sogenanntes «persönliches Wachstum» im Sinne der Wiederherstellung oder Steigerung der Arbeitsfähigkeit, Produktivität, Funktionalität sowie auf Konsum ausgerichtet sind, von ihrem Ansatz her sexuell-feindlicher Natur sind, also gegen die Sexualität gerichtet sind, und nicht auf ihre Befreiung. Intimität als Wert, als eine Art Gut oder Tugend sowie als notwendige Bedingung für eine tiefe Kommunikation, das Finden und Erfüllen des Sinns des Lebens unter uns Menschen ist daher heute im weiten Feld des psychotherapeutischen und psychoanalytischen Diskurses sehr selten zu finden. Auch die Forschung in diesem Bereich wird minimiert; aber, im Gegenteil, die Erforschung der negativen Aspekten der Sexualität – Gewalt und Traumata – floriert, und zwar, global.

Spirituelle und andere Krisen als Krise der Intimität

Wenn ich in diverse Krisen geriet – Vertrauenskrise, Krise der Intimität oder eine spirituelle oder kreative Krise – habe ich mich oft gefragt, was genau dahinter steckt und warum ich andere Menschen nicht treffen, berühren oder erotische Nähe mit ihnen nicht teilen mag. Ich hatte qualifizierte Psychotherapeuten, sowohl «alternative» wie auch «konservative», aber keiner von ihnen konnte mir im Umgang mit diesen verschiedenen Krisen wesentlich helfen. Und diese Krisen, auch die Alterskrisen, wirkten sich letztendlich auch als Krise der Arbeit und der Werte aus, die ich versuchte zu vermitteln. Erst vor kurzem, teils dank einer Kollegin, die sich «Intimtherapeutin» nennt, und teils dank einer Klientin, mit der wirklich echte Intimität möglich war, wurde mir die Quelle des Misstrauens, der Verlegenheit und der Angst in mir selbst bewusster. So wurde mir klar, dass die oben genannten Krisen tatsächlich nur eine waren – die Krise der Intimität. So fühlte ich mich bei der Arbeit zufällig – dank Intimität – plötzlich wie ein Phönix-Vogel, als würde ich aus der Asche ersteigen.

Diese Offenbarung veranlasste mich, die Rolle der Intimität in der erotischen Lebenskunst noch einmal zu betonen und ihr ein eigenes Kapitel zu widmen.